Tag 3: Heiße Tipps aus dem kalten Chianti!
Am dritten Tag der Dienstreise stehen große Namen im Programm
Zur Ouvertüre des dritten Tages im Chianti gibt es ein veritables Vogelkonzert, das sich schon ganz wie Frühling anhört und auf besseres Wetter hoffen lässt. Tatsächlich zieht der Himmel auf und zeigt uns ein überzeugendes, hell leuchtendes Blau. Beschwingt vom C-Jam-Blues (in der Version von Oscar Peterson) machen wir uns auf den Weg nach Castelnuovo Berardenga, in dessen Umgebung wir gleich zwei Weingüter besuchen. Im Südosten des Chianti, wir sind nur etwa 20 Kilometer von Siena entfernt, scheint die Anzahl der Burgen und Wehrtürme plötzlich anzuwachsen. Ganz in der Nähe verlief die mittelalterliche Grenze zwischen Florenz und Siena, was ab dem 13. Jahrhundert einen martialischen Bauboom auslöste. Auferstanden aus Ruinen ist daraus in diesen Tagen ein unverkennbares Merkmal der Kulturlandschaft Toskana – übrigens den Burgen am Mittelrhein nicht unähnlich.
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Die Bank und der Bacchus
Den ersten Halt in Castelnuovo Berardenga machen wir beim Weingut „Poggio Bonelli„. Seit dem 15. Jahrhundert werde hier Wein gemacht, erklärt uns Francesca Elia. Bis in die 60er des vergangenen Jahrhunderts hätten stets Adelsfamilien das Gut geführt, bevor mit der Banca Monte dei Paschi di Siena eines der größten italienischen Kreditinstitute quasi das Erbe des letzten noblen Weinmachers antrat.
Immerhin 83 Hektar Rebfläche zählt „Poggio Bonelli“, davon 70 Hektar im Chianti Classico und 17 Hektar in der Appellation Colli Senesi. Mit einer Jahresproduktion von 300.000 Flaschen gehört das Weingut zu den Großen im Chianti, was der Gang durch die Keller atmosphärisch eindrucksvoll unterstreicht. Insbesondere das Fasslager für den Vin Santo, das an ein Bühnenbild für die „Zauberflöte“ denken lässt, hat es uns angetan, zumal uns dort auch ein ordentlich trunkener Bacchus begegnet.
Die französischen Rebsorten Cabernet Sauvignon, Merlot und Petit Verdot nehmen 15 Prozent der Rebfläche ein, der Rest ist in fester Hand des Sangiovese. Rund zwei Drittel der Weine gehen in den Export, vor allem in die USA nach Asien und Skandinavien. Das international ausgerichtete Sortiment umfasst insgesamt zehn Rotweine, zwei weiße Weine und den Süßwein Vin Santo. Eine „Gran Selezione“ werde man dagegen auf absehbare Zeit nicht darunter finden, wie Francesca Elia in ihrem bezaubernden, italienischen Englisch andeutet. Auch wir begrenzen die Weine bei der Verkostung, denn schließlich sollen unsere Empfehlungen auch lieferbar sein 😉
Poggio Bonelli – Die Weine
Wir verkosten zunächst den Wein aus dem Besitz des Weinguts im Chianti Colli Senesi namens „Villa Chigi“ aus dem Jahr 2014. Es ist mal wieder ein 100%iger Sangiovese. Ein guter Wein, der mir aber eine Spur zu viel Säure hat und insgesamt etwas „eindimensional“ wirkt. Ganz anders wirkt da der 2012er Chianti Classico, der uns mit seinem Gesamtpaket von Anfang an verzaubert. Hier scheint alles in der richtigen Dosis vorhanden zu sein: Attraktive Frucht, schöne Säure und eine alterungsfördernde Tanninstruktur. Man könnte auch sagen: Der Wein ist lecker und macht Spaß 😉 Zu guter Letzt gibt es noch etwas Kurioses ins Glas: Einen 100%igen Petit Verdot mit dem Namen „Tramonto D’Oca“ IGT. Eigentlich kennt man diese Rebsorte nur als Verschnitt-Beigabe im Bordeaux. In Spanien wird er auch schon einmal rein vinifiziert, aber es bleibt eine Seltenheit. Der Wein präsentiert sich – trotz Jahrgang 2010 – noch blutjung. Verschlossen, tanningewaltig, aber mit superfetter Struktur ausgestattet, möchte man den Wein gerne nochmals in 5-10 Jahren probieren. Von Poggio Bonelli nehmen wir auf jeden Fall den tollen Chianti Classico mit.
Poggio Bonelli – Das Video
Dachschaden mit Vision
Auch das nächste Weingut, das wir besuchen, zählt zu den größeren Produzenten im Chianti. „Tolaini“ ist die Wirklichkeit gewordene Vision eines Italieners, der nach Kanada auszog, um das große Geld zu machen. Als Pierluigi Tolani dann das notwendige Kleingeld aufbringt, kehrt er nach Italien zurück, um dort seinen Traum vom eigenen Weingut zu verwirklichen. In Castelnuovo Berardenga wird er 1998 fündig und geht mit atemberaubender Konsequenz an die Umsetzung. So entkernt er komplett die alte Villa des Weinguts, versieht sie mit einem inneren Stahlgerüst, nimmt anschließend das Dach ab, um das Beste an Kellertechnologie zu installieren, was wir je auf Dienstreisen gesehen haben.
Von den 50 Hektar Rebfläche grenzt gut die Hälfte unmittelbar an die Weinkellerei in der Villa. Doch nicht der Sangiovese steht hier an erster Stelle (10 Hektar). Die Rebsorten Cabernet Sauvignon (20 Hektar), Merlot (10 Hektar), Cabernet Franc (7 Hektar) und Petit Verdot (3 Hektar) unterstreichen, dass „Tolaini“ seine Orientierungsmarke in Frankreich sucht, genauer gesagt im Bordeaux und ganz präzise im Château Haut-Brion. Um dies in höchstmöglicher Qualität zu verwirklichen, setzt „Tolaini“ auf die manuelle Arbeit im Weingarten, auf eine ausgeklügelte Bewässerung und den allerschonendsten Umgang mit den Trauben nach der Ernte. So wird der Wein nur per Schwerkraft bewegt, eine Fahrradpumpe ist die einzige Pumpe im ganzen Haus.
Wir schauen uns mit Diego Bonato die Weinberge an und erfreuen uns des ausgiebigen Gangs durch den Keller, der uns immer wieder anerkennend staunen lässt. Und so verwundert es wenig, dass der „Amministratore Delegato“ uns auf einen gemeinsamen Bekannten aus dem spanischen Valdeorras anspricht, als wir darüber reden, dass man auf „Tolaini“ mit intelligenter Technik immer darauf abziele, dass die Trauben möglichst komplett all das ins Fass brächten, was ihnen die Natur geschenkt hat. Um so gespannter sehen wir der Verkostung der Weine entgegen. Ach so, und das Dach kam natürlich wieder drauf, als die Kellertechnik stand.
Tolaini – Die Weine
Die Verkostung bei Tolaini ist facettenreich. Neben diversen IGT-Weinen probieren wir hier auch einen Chianti Classico „Gran Selezione“ aus 2011 und 100% Sangiovese. Es sind aber die IGT-Weine, die uns begeistern: Als Einstiegswein kommt zunächst der 2011 „Al Passo“ IGT ins Glas. Mit einem Verschnitt aus 85% Sangiovese und 15% Merlot eigentlich noch DOCG-konform, verheimlicht der Wein nicht seine Zeit im Holz, lässt diesen Eindruck aber auch nicht dominieren. Der Wein verfügt über eine gute Komplexität und eine wunderschöne Rotfruchtaromatik. Mit seinen ca. 17 EUR Verkaufspreis ist er das günstigste Angebot im Sortiment. Aber selbst in Anbetracht des für mich so wichtigen Preis-/Genussverhältnis noch eine echte Empfehlung wert. Mit dem 2011 „Valdisanti“ IGT bekommen wir dann 75% Cabernet Sauvignon, 20% Sangiovese und 5% Cabernet Franc ins Glas. Ein sehr dunkler, fetter Wein, der durch seine Cassis-betonte Nase den Cabernet Sauvignon nicht verbergen kann. Es ist noch ein junger Wein, der durch seine schon jetzt vorhandene Balance aber auf großes hoffen lässt. Zu guter Letzt probieren wir noch den 2010 „Picconero“ IGT. Mit seinen 65% Merlot, 30% Cabernet Sauvignon und 5% Petit Verdot kommt er wie ein Bordeaux vom rechten Ufer der Gironde daher. Eine Supernase schlägt uns da entgegen. Super komplex, wunderbar clean gemacht und mit einer beeindruckenden Feinheit macht der Wein deutlich, dass sich der ganze Aufwand bei Tolaini lohnt! Und für unsere Blindverkostung schnappen wir uns dann doch den „Al Passo“.
Fattoria Tolaini – Das Video
Wer hat diesen Wein erfunden?
Ortswechsel, wir müssen uns beeilen, denn der nächste Termin in Gaiole in Chianti ist bereits nah. Mit Mario und Galina Gaffuri treffen wir zwei Schweizer, die nach einer erfolgreichen, aber kraftzehrenden Karriere in der eidgenössischen Spitzengastronomie ihr Heil in der toskanischen Landflucht suchten. Im deutschen Schicksalsjahr 1989 erwerben sie „Rietine„, drei Jahre später siedeln sie in den Chianti um. Auf rund 450 Meter liegen die 12 Hektar mit Sangiovese, Merlot und Ancellotta, mit denen Mario Gaffuri zwischen 70.000 und 75.000 Flaschen herstellt. Neben dem Vin Santo, der uns bei dieser Dienstreise nicht so sehr interessiert, besteht das Sortiment aus drei Weinen.
Auch die Gaffuris setzen auf ausgiebige Arbeit im Weinberg, auf eine grüne Lese im Juni, das zusätzliche Entfernen der Blätter im August sowie die Ernte per Hand. Im Keller geht es etwas handwerklicher zu. Die Trauben werden vor der Mazeration aufgebrochen, die Pumpe ist stetiges Antriebsmittel – der Kontrast zu „Tolaini“ könnte nicht größer sein.
Doch die Wahrheit ist immer im Glas, also auf in die Verkostung.
Rietine – Die Weine
Die Verkostung bei Rietine ist wieder sehr klassisch: Wir probieren den Chianti Classico aus 2012 und jeweils einen Chianti Classico Riserva aus 2011 und 2009. Zudem bildet den krönenden Abschluss wiederum ein „Super-Toskaner“ mit dem glanzvollen Namen „Tiziano“ aus dem Jahr 2011. Uns gefällt aber spontan der Riserva aus 2011 am besten, denn es ist endlich ein Riserva, der jetzt schon Spaß macht. Er verfügt zwar über die Ernsthaftigkeit eine so lange gereiften Weines, gibt sich aber weniger verschlossen als zuvor probierte Riserva. Insbesondere da er bereits über eine wunderbare Balance verfügt, die keine echten Ecken und Kanten aufweist. Mit anderen Worten: der muss mit!
Rietine – Das Video
Neue DOC mit langer Tradition
Von Rietine bei Gaiole in Chianti wenden wir uns gen Osten, wo in Mercatela Valdarno unfern von Bucine uns mit „Petrolo“ der letzte Termin dieses Tages erwartet. Wir sind nun nahe bei Arezzo und schauen von Anhöhen hinab in das Tal des Arnos. Alte Weinlandkarten verorten hier die Appellation Chianti Colli Aretini, doch 2011 belebte man eine alte Appellation wieder, die DOC Val d’Arno di Sopra, um das großflächige Anbaugebiet besser zu differenzieren. Erinnert sei jedoch daran, dass diese Region bereits in der Urkunde Cosimo III. de Medici von 1716 namentlich benannt ist.
Bei „Petrolo“ erfahren wir, was diese Wiederbelebung ausgelöst hat. Stellte man zuvor „nur“ IGT Weine her, um das Profil der Weine nicht in der großen Appellation untergehen zu lassen, ist man jetzt ganz auf Kurs der neuen DOC. Zudem setzen die Verantwortlichen auf biologischen Anbau – mit bewusstem Blick auf Panzano – um die Wertigkeit der Weine weiter zu steigern. Da sehen sich dann auch die großen Weingüter wie „Petrolo“ in der Verantwortung. Gemeinsam mit den „kleinen“ Weinbauern führen sie Schulungen und Beratungen durch, um das biologische Prinzip bis in den letzten Winkel der an Winkel reichen DOC zu tragen.
Vor knapp 70 Jahren erwirbt die Familie Bazzocchi das Weingut, mittlerweile hat mit Luca Sanjust bereits die dritte Generation die Leitung des Weinguts übernommen. Rund 80.000 Flaschen Jahresproduktion werden aus den 27 Hektar Rebflächen geholt. Allein an diesen Zahlen ist zu erkennen, dass Qualität klar vor Quantität geht. Noch in den 1970er Jahren habe man mit der Hälfte an Rebfläche nahezu das Fünffache an Menge produziert, erklärt uns Marco D’Orazio, der sich alle Mühe gibt, uns auch noch das kleinste Detail über „Petrolo“ zu vermitteln.
Von Amphoren und Fässern
Mit ihm machen wir uns auf den Weg durch die Weingärten, wo er uns stets die genaue Ausrichtung, die Rebsorten und die Bodenbeschaffenheit erläutert. Am Ende dieser Tour stehen wir bei gefühlten Minustemperaturen oben auf dem Wachturm von „Galatrona“. Der Wind weht scharf und unnachgiebig, doch der atemberaubende Blick über das Weingut und die sich anschließende Landschaft lohnt die akute Erkältungsgefahr.
Der Verkostungsraum ist zwar nicht geeignet, uns wieder aufzuwärmen, doch immerhin gibt es Wein. Nun hat sich auch Simone Cuccoli zu uns gesellt, der 25jährige Önologe des Weinguts, der seine Lehrjahre im Piemont bei Ruggero Mazzilli verbracht hat. Cuccoli ist stets auf der Suche nach dem noch besseren Weg zum noch besseren Wein und hat daher mit der Spontanvergärung aber auch der Vinifizierung in Amphoren begonnen, um alle Facetten der Weine von „Petrolo“ auszuschöpfen. Dem gilt es nun, sensorisch auf die Spur zu kommen.
Petrolo – Die Weine
Bereits zum Auftakt bekommen wir es mit einem spannenden Vergleich zu tun: Wir probieren den im Holz ausgebauten „Bòggina“ im direkten Vergleich mit dem in der Amphore ausgebauten „Bogginanfora“. Bis auf diesen Unterschied handelt es sich um die identischen Weine. Gleiche Lage und gleiche Rebsorte (100% Sangiovese). Der Unterschied zwischen den Weinen ist frappierend. Ganz erwartungsgemäß präsentiert sich der für 15 Monate in 450-Liter-Fässern ausgebaute Wein deutlich rustikaler und tanninreicher. Der in 300-Liter-Amphoren ausgebaute „Bogginanfora“ hingegen ist extrem fruchtexpressiv und frisch anmutend. Eben ganz ohne Holzeinfluss mit größerem Sauerstoffaustausch. Und auch wenn der „Holzwein“ besser reifen sollte, der Amphoren-Wein macht jetzt unglaublichen Spaß und verfügt über eine geradezu an einen Pinot Noir erinnernde Vielschichtigkeit. Da wir bei diesen Weinen allerdings schon in der 50-Euro-Klasse unterwegs sind und sie sich somit eher für eine Weinlakai-Einzelempfehlung eignen, suchen wir für unsere Zwecke einen anderen Wein aus: Bei dem 2013er „Torrione“ IGT stellt die Wahl aber alles andere als eine Qual dar. Der Verschnitt aus 80% Sangiovese, 15% Merlot und 5% Cabernet Sauvignon kommt extrem würzig und kräftig daher, verfügt aber auch über tolle Anklänge von Kirschen und Veilchenduft. Und auch hier bringt die Säure das richtige Maß an Frische in den Abgang. Ein Phänomen, das wir nach den vielen Verkostungen der vergangenen Tage eindeutig dem Sangiovese zuschreiben. Wenn gut gemacht, sorgt er dafür, dass die Weine nie anstrengend wirken und immer zum nächsten Schluck einladen. Molto Bene!
Petrolo – Das Video
Unterkühlt aber glücklich steigen wir in unser Toyota Hybridmobil und drehen als erstes die Heizung auf. Das war unser dritter und leider letzter Tag im Chianti, morgen fahren wir in die Maremma. Da soll das Wetter auch besser sein. Die Weine auch?
Der Streckenverlauf des heutigen Tages:
Rietine – das war mein Tipp !!
Lieber Weinlakai, wenn Sie das lesen: es ist schon interessant, als ich mehrmals in meinem Urlaub nahe Montevarchi war und Mario Gaffuri´s Rietine besuchte, war es immer die Riserva mit dem lilafarbenen Etikett, der nach meinem Geschmack am besten gefiel.
Und um mich herum, auch Bekannte von Mario meinten immer verwundert, nein, nein, der Tiziano ist der beste.
Ich fand die Riserva hatte immer noch etwas mehr Raum im Mund und eine klasse Balance zwischen „er ist schon“ und „er kann noch liegenbleiben“, auch nach drei bis vier Jahren im Keller.
Und: man schmeckt das Handwerk und die Ehrlichkeit in seinen Weinen.
Egal, welche Franzosen, Spanier oder Parkerpunkte in meinem Gaumen verweilten, es war bei seinen Weinen immer wie heimkommen zu Mamma: eine Mamma verstellt sich nicht oder spielt einem etwas vor, sie ist Mamma. Und hier hat man eben keinen angestrengten Holzspänenblender, sondern einen Wein, der wie Mario Gaffuri selbst ist: aufrichtig, entspannt, aber trotzdem ein Typ. Salut !