Alentejo: Große Familien, große Weine und noch größere Entschlossenheit

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Wenn Tradition Anschub gibt, kommt die Gegenwart ins Laufen

So weit das Auge reicht, erstreckt sich die Landschaft mit ihren sanften, weit schwingenden Hügeln. Der Blick legt offen, wovon die Menschen im Alentejo leben, womit die Region ihr Geld verdient. Olivenhaine wechseln sich mit Rebflächen ab, Mandelbäume dazwischen und Getreidefelder allemal. Die Stein- und Korkeichen sind die Ausrufezeichen der Landschaft, sie säumen mal Straßen, mal Felder und finden hier und dort zu kleinen Wäldchen zusammen. Über allem spannt sich das makellose Himmelsblau mit einer zügellosen Sonne, die schon am Vormittag den Horizont flimmern lässt.

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Zwei ganz unterschiedlichen Winzer-Typen begegnen wir bei diesem Besuch. Da gibt es die großen Weinhersteller, oft mit namhaften Familien als Eigentümern, die mit ihrem Land und ihrem Geld schon Generationen lang im Alentejo beheimatet sind. Mitunter sind sie landwirtschaftliche Mischbetriebe und die Weinerzeugung im großen Stil ist zwar das Lieblingskind, aber auch das jüngste. Erst seit rund 20 Jahren ist Wein für diese Familien wieder eine ernst zu nehmende Erwerbsquelle. Und ist ihre Entscheidung, in den Wein zu investieren, erst einmal gefallen, ziehen sie das „Projekt“ mit großer Zielstrebigkeit durch. Der andere Winzer-Typ versammelt die kleinen Projekte, der Quer- und Späteinsteiger, doch dazu mehr im nächsten Dienstreise-Beitrag.

Entschlossenheit und der richtige Erntezeitpunkt
Bereits der Name „Casa Agricola Alexandre Relvas“ signalisiert, dass es in dieser Unternehmung nicht nur um Weine geht. Mit der „Herdade São Miguel“ und der „Herdade da Pimenta“ gibt es gleich zwei Landgüter, die auf rund 100 Hektar Rebfläche jährlich fünf Millionen Flaschen Wein herstellen. Erst 1997 erwirbt Alexandre Relvas die „Herdade São Miguel“, vor fünf Jahren kommt „Herdade da Pimenta“ hinzu. Wir treffen uns mit Joana Queiroz und Nuno Franco zur Verkostung in der neuen Kellerei in der Nähe von Redondo. Die Fassade des Gebäudes ist mit Kork verkleidet, was den Innentemperaturen zu Gute kommt, aber auch das sachlich elegante Gebäude zurück in die Landschaft holt. Diese Modernität mit dem traditionellen I-Tüpfelchen begegnet uns im Alentejo immer wieder, als gehörte sie bereits fest zur neuen, selbstbewussteren Identität der Region.

Das Innenleben des Gebäudes ist ganz auf den Wein zugeschnitten. Es blitzt vor Stahltanks, der Raum ist bis in den letzten Winkel belegt. Man setzt bei Alexandre Relvas auf die bestmögliche Technik, um „besser experimentieren und ausprobieren“ zu können – und auf absolute Hygiene: Für den Gang durch die Kellerei reicht uns Önologe Nuno Franco freundlich weiße Kittel. Wasser und Temperatur, das seien hier die entscheidenden Kriterien, meint er. Das Wasser als kostbare Ressource, ohne künstliche Bewässerung gehe es in manchen Jahren halt nicht, und die heißen Temperaturen, wenn es um Reife und den richtigen Erntezeitpunkt gehe. Zu hohe Temperaturen bremsen die phenolische Reife aus, die Trauben machen zu und bleiben grün.

Das muss Nunco Franco unbedingt verhindern, wenn er die Frische in den Weinen sucht, eine Frucht, die nicht zu voll daherkommt. Deshalb hat jede ihren eigen Erntezeitpunkt und wird sie einzeln vinifiziert, um am Ende zu einer Cuvée aus unterschiedlichen Lagen zusammengeführt zu werden. Meist ernte man nachts, um die Trauben so kühl wie möglich in den Keller zu bekommen. Am Ende eines Ganges fallen einige Amphoren auf, und ja, den Art.Terra gebe es auch aus der Amphore, verspricht Nuno Franco für die Verkostung. Und tatsächlich von den insgesamt elf Weinen, die wir verkosten, landet neben dem IGP Rosé von „Herdade São Miguel“ auch der Art.Terra, Amphora, IG, 2015 auf der Shortlist der Portugal Dienstreise. Diese Weine wollen wir in der Blindverkostung wiedersehen.

Casa Agricola Alexandre Relvas – Die Weine
Das Weinsortiment von Alexandre Relvas ist riesig groß und extrem vielschichtig. Wir probieren hier nicht nur „normale“ Weiß-, Rosé- und Rotweine, sondern auch einen in Amphoren hergestellten Wein und einen „Orange-Wine“. Letzterer weiß aber nicht sonderlich zu überzeugen und auch der Weißwein unter dem „Herdade de São Miguel“ Label wirkt zu fruchtig und überreif. Der aus 100% Alicante Bouschet ist zwar interessant, da er eine der vielen Rebsorten der Gegend ausnahmsweise reinsortig präsentiert, doch wirkt der 2011er noch zu jung und tanninreich. Richtig glücklich sind wir mit dem eben bereits erwähnten Wein aus der Amphore: Der 2015er Art. Terra Amphora wirkt unwahrscheinlich offen, aromatisch und dennoch mit ausreichend Struktur ausgestattet. Zudem ist die Herstellungsmethode einfach ein Kuriosum. Der Wein muss demnach mit. Aber auch der 2015er Herdade de São Miguel Rosé beeindruckt bei der Verkostung und kommt auf unsere Shortlist. Hier befindet sich das schöne Aroma in wunderbarem Einklang mit der wohltuenden Mineralität und der erfrischenden Säure. Es kommen hier die beiden Rebsorten Aragonez und Touriga Nacional zum Einsatz – wiederum ganz typisch für die Region.
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Projekte im großen Maßstab
Bei João Portugal Ramos empfangen uns Rosen. Die Wein-Wächter säumen die Auffahrt zum Weingut, wo uns der Junior-Chef begrüßt, der sich diesem „Projekt“ besonders verbunden fühlt. Die Bodega mit ihren 250 Hektar, ist seit 1990 in Familienbesitz und nur eines von insgesamt fünf Weinprojekten in Portugal. Schnell kommt das Gespräch wieder auf das Wasser und die Temperaturen, den richtigen Erntezeitpunkt, die immer wieder herausfordernde Unterschiedlichkeit der Parzellen.

Beim Gang durch das mit glücklicher Hand renovierte Weingut treffen wir zum ersten Mal auf dieser Dienstreise auf einen Lagar. Die flachen Granitbecken sind eher aus dem Douro bekannt, wo sie bei der Portwein- und Weinherstellung für die Maischegärung und das Stampfen mit den Füssen bekannt sind. Doch im Alentejo zählen sie gleichfalls zur Tradition und nicht nur in dieser Bodega werden sie nach wie vor für einige Rotweine genutzt.

Wie wichtig der Wein für die Familie ist, zeigt der Werdegang des Juniors, der in Madrid, Bordeaux und Montpellier Önologie studiert hat. Im Wein liegt die Zukunft und so zeigt auch die Bandbreite des Sortiments, wie ernst man es mit dem Weingeschäft meint. Die Weine, die wir verkosten gliedern sich in vier Qualitätsstufen. Es sind die klassischen Rebsorten der Region wie Tricadeira und Touriga Nacional, Alicante Bouschet und Aragones, aber auch Cabernet Sauvignon und Syrah. Wichtigste Marke des Hauses ist der Marquês de Borba, ein Adelstitel, den sein Vater sich von einem Cousin für die Weinlinie ausgeliehen habe. Aber es bleibt ja in der Familie. Die Weißweine überraschen mit ihrer Frische und  schönen Mineralik, unter den Roten findet sich der nächste Kandidat für Shortlist und Blindverkostung. Sogar einer, der ohne die Musikberieselung im Fasslager ausgekommen ist, wo barocke Klänge als Klassik verkauft werden.

Jõao Portugal Ramos – Die Weine
Hier im Norden des Alentejo geht es in Bezug auf die Weinstilistik noch recht elegant zu. Das zeigen auch die Weine bei Portugal Ramos. Sie verfügen alle noch über einen Säuregehalt, der die Weine nicht anstrengend wirken lässt. Das überrascht, denn bei den extremen Außentemperaturen hätte ich anderes erwartet. Wir probieren hier insgesamt acht Weine und bekommen unter anderem einen zu 100% aus Trincadeira bestehenden Wein is Glas. Die weitere Möglichkeit eine typische Rebsorte ganz reinsortig zu probieren.  Allerdings ist uns dieser Wein zu dicht, zu konzentriert und von seinen Gewürznoten dominiert. Vielleicht doch besser Trincadeira nur als Verschnittwein einzusetzen. Das „Rennen“ macht für uns ein anderer Wein: Der 2015er Marquês de Borba Tinto besteht aus Alicante Bouschet, Aragonez, Trincadeira und Touriga Nacional. Er wurde nur kurz in kleinen Holzfässern ausgebaut und überzeugt durch eine schöne, schwarzbeerige Aromatik und eine gute, ernst wirkende Struktur. Der muss mit!
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Weine aus dem Palast des Herzogs
Unsere Landpartie geht weiter und führt uns in den im Süden gelegenen Bezirk Beja, in die Nähe von Baleizão. Dort erstreckt sich auf rund 1500 Hektar die Herdade Paço do Conde, die auf einem Zehntel der Fläche Wein anbaut. Auf dem Feldweg zum Weingut sehen wir die angestammte Mischung aus Getreide, Olivenbäumen und Wein. Mitten in diesem Fleckenteppich verbirgt sich aber auch ein großes Mohnfeld, streng von den Behörden kontrolliert und weit, weit weg von der nächsten Landstraße. Solchen Landbesitz trägt man mal nicht auf die Schnelle zusammen.

Die Weinphilosphie der Bodega lautet Frucht, Frucht und noch einmal Frucht, erklärt uns Filipe Ferrão Castelo Branco, der Sohn des Hauses. Es ist diese Charakteristik, die den „Herdade das Albernoas“ zum zweit meist verkauften Wein in Kanada macht. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Hier die nahezu glühende Landschaft, die frische Weine hervorbringt, die dort, im kühlen Kanada, zum Renner werden. Hier das traditionelle Herkommen, dort die Zukunft mit neuen Weinen.

Doch das Fundament ist nicht nur der Landbesitz der Familie – die übrigens von zwei Brüdern geführt wird – sondern auch ein klar strukturiertes Marketing der Weinunternehmung. Immerhin stellt man an zwei Standorten 1,4 Millionen Liter Wein im Jahr her, da will die Range vor allem für den Export ordentlich sortiert sein. Und erneut begegnet uns ein Kuriosum, das viel über die besondere Stellung des Alentejos aussagt, denn auch für die Weine der Herdade Paço do Conde ist Angola ein wichtiger Exportmarkt. Doch wenden wir uns den Weinen selbst zu. Mit 30 Weinen, die sich in fünf Weinlinien oder „Brands“ gliedern, spielt man im Paço do Conde, im Palast des Herzogs, auf. Fast 20 dieser Weine bekommen wir in das Glas, darunter auch der rote Herdade das Albernoas, der es auf die portugiesische Shortlist schafft.

Herdade Paço do Conde – Die Weine
Bei Paço do Conde verkosten wir neun Weine und die Bandbreite ist beeindruckend. Sowohl in Bezug auf den Preis als auch auf die Qualität. Die roten Einstiegsweine finden wir etwas ausdruckslos und nichtssagend. Und auch die Weißweine können nicht recht überzeugen. Allerdings fühlen wir uns mit den Rotweinen mit einem Ladenpreis jenseits der fünf Euro deutlich wohler. Insbesondere der 2014er Touriga Nacional Syrah ist eine ganz besondere Mischung. Er wirkt aromatisch sehr interessant und verfügt über eine ungewöhnliche Stilistik. Kein Wunder, denn diese beiden Rebsorten werde sicherlich nur selten „verpaart“. Für uns genau das Richtige, denn wir wollen ja nicht nur gute Weine mit nachhause bringen, sondern auch Weine, die überraschend sind und lehrreich etwas über die Region erzählen.
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Prickelnder Hitzerekord
Noch eine große Familie findet sich in unserer Tourenplanung, noch ein großes Anwesen, bei dem sich der Wein erst in den vergangenen Jahren zum Liebling gemausert hat. Der Preis für Olivenöl verfällt, mit Mandeln kann man noch Geld verdienen, das spannendste, aber auch schwierigste Produkt ist damit der Wein. Bei Henrique Uva und der „Herdade da Mingorra“ hat man erst Anfang des Jahrtausends diesen Weg eingeschlagen. Am Anfang verkauft man nur die Trauben, selbst dann noch als die neu gepflanzten Reben bereits tragen. Doch dann wird ein „Projekt“ daraus und für das vergangene Jahr steht eine Produktionsmenge von einer Million Liter zu Buche.

Was die „Herdade da Mingorra“ so sympathisch macht, ist die Experimentierfreude, mit der der Önologe das Weingut weiterentwickelt: Die Geduld und Beharrlichkeit, mit der er sich den 150 Hektar widmet, um die Parzellen besser zu verstehen, die einzelnen Lagen treffsicher vermählen zu können. Und Henrique Uva, der unter anderem mit einem Hotel an der Algarve die Familie nährt, lässt ihm diese Zeit. Da spüren wir wieder diese Entschlossenheit, das Moderne mit traditionellem Selbstverständnis zu suchen. Werden das die Weine bestätigen?

Gemeinsam mit Henrique Uva und den beiden Töchtern essen wir im großen Salon des Wohnhauses. Draußen brütet die Sonne einen neuen Hitzerekord aus, in unseren Gläsern prickelt der Schaumwein, den man seit wenigen Jahren gleichfalls produziert. Ein Hoch auf dieses Stöffchen, das uns feinfruchtig wieder frisch macht.

Eindruck hinterlässt auch ein fortified wine, ein – dem Portwein vergleichbar – mit Brandy gestreckter Wein, der mit fast 8.000 Flaschen längst das Experimentierstadium verlassen hat. Nun aber zur Verkostung, bei der uns alle „Terras d’Uva“- und „Herdade da Mingorra“-Weine angeboten werden.

Herdade da Mingorra – Die Weine
Bei Mingorra stellen wir schnell fest, dass es schwer wird nur einen Wein mitzunehmen. Nicht nur ist das Gesamtniveau mehr als anständig, es sind insbesondere die Preise, die einen exzellenten Gegenwert ermöglichen. Insbesondere der weiße 2015er Terras d’Uva Branco hat es uns angetan, denn er würde wohl im Laden nicht mehr als 5 Euro kosten. Aber auch sein „großer Bruder“, der 2015er Mingorra Branco, kostet kaum mehr (ca. 7 EUR) und überzeugt ebenfalls durch eine sehr attraktive Frucht und eine schluckanimiernde Säure. Und dann gibt es mit dem 2014er Mingorra Tinto auch noch das rote Pendant. Hier kommt zum identischen Preis ein wirklich toller Wein in die Flasche. Rote Früchte, eine feine Blumennote und eine Struktur, die nicht sofort auf einen Wein dieser Preisklasse hindeutet. Es mag ungewöhnlich sein, aber hier müssen wir direkt dreimal zugreifen.

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Achtung Feuer!
Auf dem Rückweg zurück nach Évora müssen wir die Landstraße verlassen. Die Polizei leitet uns wegen eines Waldbrandes um. Ein großes Übel dieser Region, eine regelrechte Katastrophe in diesem portugiesischen Sommer. Für den Abend haben wir noch eine Flasche Weißwein im Gepäck. Gleich den Reben, die wir heute gesehen haben, wollen wir die deutlich niedrigeren Temperaturen der Nacht nutzen, um auf der Terrasse auszukühlen und bei einem Glas unsere Besuche bei den großen Familien der Region zu sortieren. Am Ende wird es dann aber doch ein Gin Tonic.

Der Streckenverlauf des heutigen Tages:

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