Eine gesalzene Angelegenheit – Der Einfluss von Mineralien im Wein
Mineralität
Wein besteht zu 85 % aus Wasser – genauer gesagt aus Mineralwasser. Es ist daher naheliegend, dass die Zusammensetzung des Wassers einen signifikanten Effekt auf den Wein hat. Einen sehr unterschiedlichen noch dazu, denn die Inhaltsstoffe des Wassers werden stark von der jeweiligen Bodenbeschaffenheit bestimmt, wobei Böden von Weingebiet zu Weingebiet, ja von Weinlage zu Weinlage sehr unterschiedlich sein können. Trotzdem steckt die Erforschung dieser Zusammenhänge noch in den Kinderschuhen.
Welche Auswirkungen hat also die unterschiedliche Zusammensetzung dieser Flüssignahrung und welche Wirkung hat die mal länger, mal kürzer dauernde Verdunstungszeit des Wassers in den Beeren? Auf diese Fragen versucht der sehr wissbegierige französische Winzer Xavier Vignon seit 2003 Antworten zu finden.
Xavier Vignon ist seit 15 Jahren als Winemaker auf verschiedenen Domaines im Châteauneuf-du-Pape beschäftigt und besitzt seit 2002 auch ein eigenes Weingut. Er hält den Einfluss der unterschiedlichen Mineralsalze im Wein für enorm, aber bislang zu wenig beachtet. Deshalb engagiert er sich in zahlreichen Recherchen und Studien zu diesem Thema.
Uns Weintrinkern sind Salze höchstens in auskristallisierter Form als Sediment bzw. Bodengrund in Rot- und Weißweinen bekannt. Über den Einfluss auf die Wahrnehmung des Weines am Gaumen, die Aromatik und die Langlebigkeit eines Weines ist nur wenig bekannt. Daher zunächst ein paar «Basics»:
Traubensaft enthält zahlreiche verschiedene Mineralien, die von den Wurzeln bei der Suche nach Feuchtigkeit tief im Unterboden des Weinbergs aufgenommen werden. Am häufigsten ist hierbei Kalium zu finden. Aber auch Calcium, Magnesium, Eisen und Kupfer sind in größeren Mengen enthalten. Viele andere Mineralsalze sind zudem in geringen Spuren vorhanden.
Der Gesamtgehalt dieser Mineralien beeinflusst in allererster Linie die Säurewahrnehmung des fertigen Weines. Denn obwohl die Säuren den Säuregehalt bestimmen, wird der subjektive Säureeindruck am Gaumen vom pH-Wert festgelegt. Und dieser wird wiederum durch das Zusammenspiel von Säuren und Mineralien definiert. D. h. gewisse Salze sind dafür verantwortlich, wie sauer die Säuren tatsächlich wahrgenommen werden (vgl. hierzu das exzellente Buch von David Bird: «Understanding Wine Technology», Third Edition, DBQA Publishing 2010).
Schlüsselerlebnis Châteauneuf-du-Pape
Xavier Vignon hält die Mineralien im Wein aber für noch deutlich einflussreicher. Durch seine Zeit als beratender Wine maker in Châteauneuf-du-Pape während des Jahrgangs 2003 wurde seine Faszination für das Thema geweckt und seitdem ist er unermüdlich mit Forschungsaktivitäten beschäftigt.
Das Jahr 2003 war durch einen heißen und trockenen Sommer an der südlichen Rhône gekennzeichnet. Dieser Sommer erbrachte Weine, die oftmals sehr trockene Tannine aufwiesen und daher alles andere als balanciert oder seidig daherkamen. Die von Xavier Vignon unternommenen önologischen Maßnahmen konnten keine Abhilfe schaffen.
Es brauchte bis 2007, um die Ursache vollends zu verstehen: Während des gesamten vegetativen Kreislaufs des Jahres 2003 fiel nur sehr wenig Niederschlag. Direkte Folge hiervon war eine geringe Zirkulation von Wasser zwischen Boden, Rebstock und Trauben. Dadurch verfügte der Traubenmost nur über einen sehr geringen Mineraliengehalt, es fehlte ihm buchstäblich an «Salzigkeit».
Im Jahr 2007 war dieser Wasseraustausch hingegen hervorragend. Im Frühling regnete es viel und es folgte ein heißer Sommer mit fünf Wochen Mistral. Diese Hitze und der warme Wind setzten die Reben unter «Trockenstress», d. h. die Pflanze benötigte deutlich mehr Wasser und dies sorgte wiederum für eine deutlich höhere Mineralstoffkonzentration, weil die mineralischen Salze des Wassers auch nach dem Verdunsten in den Beeren verbleiben. So produzierte der Jahrgang 2007 an der kompletten südlichen Rhône Weine von überdurchschnittlicher Qualität, die eine exzellente Reifefähigkeit aufwiesen.
Xavier Vignon ist sich sicher, dass diese hohe Qualität in direktem Zusammenhang mit dem hohen Mineraliengehalt der Weine stand.
Eine Prise Salz gefällig?
Noch ein anderes Beispiel führt Vignon gerne als Beleg für den Effekt von Salzen im Wein an:
Zu Zeiten seiner Ausbildung im Bordeaux klärte man Weine auf traditionelle Art und Weise mit Hilfe von Eiweiß und einer Prise Salz. Wie der Zufall es wollte, vergaß man eines Tages die Prise Salz bei einem der Fässer. Einige Monate später stach genau dieses Fass bei einer Verkostung heraus, denn der Geschmack des Weines war anders, es fehlte etwas, der Wein schien unfertig.
So ist es wenig verwunderlich, dass sich Monsieur Vignon an der Tatsache stört, dass man gemeinhin Weine in Bezug auf den Gaumeneindruck nur mit Vokabeln wie süß, sauer, bitter und maximal noch Umami beschreibt. Dass auch eine gewisse Salzigkeit dazugehört, wird in der Regel ignoriert. Eigentlich seltsam, denn bei Mineralwässern ist es selbstverständlich, über einen unterschiedlichen Geschmack zu sprechen. Und dieser kommt nun einmal zum größten Teil durch die unterschiedlichen Werte von Mineralien und Spurenelementen zustande. Allerdings ist dieser Anspruch auch nicht einfach zu erfüllen, denn die wenigsten Weine schmecken per se «salzig». Es verlangt schon einen sehr gut geschulten Gaumen, um den Einfluss von Mineralsalzen einwandfrei zuordnen zu können.
Problem Salzigkeit in Australien
Es sei denn, man hat einen australischen Rotwein im Glas. Hier stellt Salzigkeit teilweise ein echtes Problem dar: Viele Böden in den Weingebieten von Down Under haben einen recht hohen Gehalt an natürlichem Natriumchlorid, also Speisesalz. Durch die große Hitze im Land und die dadurch zwingend notwendige künstliche Bewässerung wird sehr viel Salz aus dem Boden in die Reben «gepumpt». Das Resultat sind teilweise Weine, die jeder Laie als salzig bezeichnen würde. Durch Zugabe von CO² versucht man zwar, diesen Geschmackseindruck etwas abzumildern, doch bleibt der gemessene Natriumchloridwert gleich. Häufig bleibt nur die Anwendung von Elektrolyse, um die Salze aus dem Wein zu entfernen.
Doch Salzigkeit ist in Bezug auf Xavier Vignons Forschungen nicht alles. Lediglich 50 Prozent des Einflusses von Mineralsalzen werden über den Gaumen wahrgenommen. Die übrigen 50 Prozent äußern sich in olfaktorischen Eindrücken in der Nase. Also üben sie einen direkten Einfluss auf die wahrgenommenen Fruchtaromen aus.
Um zu verstehen, wie die Mineralienzusammensetzung auch aromatische Komponenten im Wein prägt, sollte man am besten Chemiker sein, doch lässt sich der Einfluss der unterschiedlichen Mineralsalze auf die Aromatik nicht vom Gaumen weisen. Dies haben mehr als 10 000 Analysen und Blindverkostungen von Weinen bewiesen. Hierbei wurden die Weine zum einen auf ihren Mineralstoffgehalt hin analysiert, zum anderen blind verkostet.
Gut zu wissen!
Doch welche praktischen Maßnahmen können nun aus diesen Erkenntnissen für die Weinherstellung abgeleitet werden? Xavier Vignon analysiert seit geraumer Zeit grundsätzlich die Mineralsalz-Zusammensetzung seiner Weine. Nur auf diese Weise lässt sich für einen Winzer ein ganz individueller Erfahrungsschatz hinsichtlich der Einflussnahme gewisser Salze auf seine Weine über die Jahre ermitteln. Zudem gibt es laut Vignon einen grundsätzlichen Lerneffekt, der mit dem Klimawandel in Zusammenhang steht: Durch das wärmere Klima fehlt es den Weinen häufig an Säure. Dies verursacht nicht nur fehlende Frische und Balance, sondern sorgt auch für eine geringere Haltbarkeit des Weines, da diese vom pH-Wert abhängig ist. Und da die Säure – wie bereits beschrieben – im Zusammenspiel mit Mineralsalzen den pH-Wert bestimmt, lässt sich der fehlende Säuregehalt durch eine größere Beachtung der Bodenbeschaffenheit bzw. der Wasserversorgung der Rebstöcke positiv beeinflussen.
Natürlich wird Xavier Vignon versuchen, diese Erkenntnisse und die mittlerweile große Datenbank mit Analysedaten kommerziell an die Weinindustrie weiterzugeben. Es ist sein gutes Recht, denn er hat mit seinen Untersuchungen viel Licht in ein Dunkel gebracht, das als fehlendes Bindeglied bei der Wahrnehmung von Wein betrachtet werden kann.
Praxistest
Folgenden Praxistest, der sich von allen Lesern leicht durchführen lässt, empfiehlt Xavier Vignon:
Füllen Sie jeweils 100 ml eines identischen Weines in vier verschiedene Gläser.
Fügen Sie den Gläsern nun ¼ Teelöffel verschiedener Wässer hinzu, die sich in ihrer Mineralstoffzusammensetzung unterscheiden, z. B. destilliertes Wasser in Glas 1 (keine Salze), Volvic in Glas 2 (wenig Calcium, wenig Magnesium), Evian in Glas 3 (vergleichsweise viel Calcium und Magnesium), St. Gero von Gerolsteiner in Glas 4 (sehr hoher Natriumgehalt).
Anschließend verkosten Sie die Weine blind. Auch wenn der wahrnehmbare Unterschied nicht gigantisch ist, werden Sie feststellen, dass schon diese geringe Menge Wasser tatsächlich einen Unterschied bewirkt.
Wunderbar spannend. Werde die Abhandlung studieren, um zu lernen.
Gratulation und vielen Dank!
Dieser Artikel ist hervorragend und lehrreich! Als Oenologe habe ich glücklicherweise schon einiges davon gewusst, aber div. Aspekte sind noch besser klar geworden. Danke für die klärenden Worte.
In meinem Weinclub werde ich dieses Thema mit dem Praxistest durchführen!!
Sehr guter und informativer Beitrag, den ich als Sommelier bei Verkostungen heranziehen werde. Gerade in meiner Weißweinregion Eisacktal/Südtirol spielt die so schwer erklärbare Mineralität der Weine eine große Rolle. Danke!
Hallo Herr Treppenhauer,
interessanter Denk- und Forschungsansatz. Mit den Begriffen Mineralität und Salzigkeit wird ja geradezu inflationär umgegangen, während zugleich kaum jemand sagen kann, von welchen Substanzen diese sensorischen Kategorien getragen werden. Den Praxisversuch werde ich auch anstellen. Mit exakten Spritzen statt Teelöffeln 😉
Hat Monsieur Vignon seine Erkenntnisse irgendwo publiziert? Weinfreundliche Grüße!