Reife kommt mit dem Alter: Serge Hochar und Chateau Musar
Château Musar
Es ist sicherlich nicht übertrieben zu sagen, dass Weine aus dem Libanon hierzulande so gut wie unbekannt sind: Selbst erfahrene Weinfreunde lassen sich bestens aus ihrer «Comfort Zone» bewegen, wenn man ihnen einen Wein aus der vorderasiatischen Bekaa-Ebene kredenzt. Aber einen Namen kennen die meisten zumindest vom Hörensagen: Chateau Musar. Chateau Musar ist das mit Abstand bekannteste und prestigeträchtigste libanesische Weingut und genießt insbesondere in Großbritannien Kultstatus. Es wurde 1930 von Gaston Hochar gegründet, der zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 20 Jahre alt war.
Ihn inspirierten die 6 000 Jahre alte Weinbautradition der Region und seine Reisen ins Bordeaux. Aber auch ein politischer Umstand begünstigte die Gründung eines Weingutes enorm, ja, forderten diese geradezu ein: Von 1920 an war der Libanon französisches Mandatsgebiet und erlangte erst 1943 Unabhängigkeit. Während dieser Zeit waren tausende französische Militärs im Land präsent. Insbesondere deren Offiziere wollten natürlich nicht auf guten Wein verzichten, und so stand man der Gründung eines Weingutes vor Ort sehr positiv gegenüber.
Wissenstransfer aus dem Bordeaux
Ein besonders hilfreicher Unterstützer von Chateau Musar war der Major Ronald Barton vom Chateau Langoa-Barton im Bordeaux. Er war bis in den Zweiten Weltkrieg im Libanon stationiert, wurde ein enger Freund von Gaston Hochar und förderte den Wissens transfer aus der französischen Prestigeregion.
Aber erst mit Gastons Sohn, Serge, begann der internationale Erfolg von Chateau Musar. Als er von seinem Önologiestudium in Bordeaux zurückkehrte, erklärte er seinem Vater kurzerhand: «Ich möchte Wein nach meinem Geschmack machen, er soll weltbekannt werden und ich möchte, dass du aufhörst.»
Gaston Hochar ließ sich von dieser Entschlossenheit überzeugen, und so entstand der Jahrgang 1959 erstmals unter der Leitung von Serge Hochar.
Selbst die Wirren der Bürgerkriegszeiten zwischen 1975 und 1990 warfen das Weingut nicht aus der Bahn und der heute 73-jährige Serge ist nach wie vor die gute Seele von Chateau Musar.
Auch wenn das Weingut mittlerweile ein recht umfangreiches Angebot hat, so ist der Rot- und Weißwein mit dem einfach zu merkenden Namen «Chateau Musar» nach wie vor das Maß aller Dinge. Beide Weine stammen aus dem Bekaa Valley, wo die Reben auf einer Höhe von 1300 Metern ihre Wurzeln in den Boden schlagen. Hier profitieren sie von dem perfekten Mix aus großen Unterschieden zwischen Tages- und Nachttemperaturen und beneidenswerten 300 Sonnentagen im Jahr bei einer Durchschnittstemperatur von 25 Grad Celsius.
Der Weißwein besteht aus den autochthonen Rebsorten Obaideh und Merweh – am ehesten mit einer Cuvée aus Chardonnay und Sauvignon Blanc zu vergleichen. Aber eigentlich hinkt jeder Vergleich, denn diese Weine sind mehr als eigenständig und gehen bei Verkostungen aus einem schwarzen Glas auch gerne mal als Rotwein durch.
Der rote Chateau Musar ist eine Cabernet- Sauvignon-dominierte Cuvée mit den Süd-Rhône-Rebsorten Cinsault und Carignan.
Zwei Eigenschaften profilieren beide Weine: Die abgefüllten Jahrgänge werden erst nach sieben bis acht Jahren auf den Markt gebracht und man sollte sie frühestens nach 15 Jahren trinken.
Ein zu früh geöffneter roter Chateau Musar wirkt nicht im klassischen Sinne zu jung, er wirkt auf Unerfahrene geradezu fehlerhaft: Töne von Nagellackentferner machen deutlich, dass hier VA (volatile acidity = flüchtige Säure) im Spiel ist und auch eine gute Portion Pferdestall bzw. Brettanomyces, eine eigentlich unerwünschte Hefe. Beides gehört zu den klassischen Charakterzügen eines jungen Musar. Oxidativ muten insbesondere die jungen Weißweine an – eine Eigenschaft, die eigentlich dafür steht, dass ein Wein zu alt ist. Eigentlich…
«I make wines to confuse people»
Auch wenn die zwei großen Weine von Chateau Musar durch ihre Eigenständigkeit in jungen Jahren ebenfalls interessant sind: Wer schon einmal einen reifen Jahrgang getrunken hat, ist fassungslos, denn all die erwähnten seltsam anmutenden Eigenschaften sind nicht mehr wiederzufinden. Stattdessen begegnet man Weinen von Weltklasse- Format, die anscheinend unsterblich sind. So wundert es nicht, dass Serge Hochar hierzu kommentiert: «I make wines to confuse people.»
Die Produktionsmenge des roten Musar ist mit 15 000 bis 25 000 Kisten groß genug, um dem internationalen Bedarf nachzukommen. Die weiße Ausgabe ist mit nur 2 000 Kisten eher spärlich.
Aber die wirklich gute Nachricht ist, dass auch ältere, also reife Jahrgänge der Weine noch gut verfügbar sind. Und zwar durch die weise Voraussicht von Serge Hochar: Er legte zwischen 1959 und 1975 die Hälfte (!) der Gesamtproduktion ins Chateau-eigene Kellerarchiv. Bis heute sind es in jedem Jahrgang noch 10 %. Eine gute Tat.
Natürlich sind die älteren Jahrgänge nicht wirklich günstig zu haben, jedoch sind die Preise noch weit entfernt von denen gereifter Bordeaux-Topweine. Wirklich interessant wird es allerdings, wenn man etwas Zeit mitbringt. So kostet ein aktueller Jahrgang des roten Musar gerade einmal 28 Euro und der Weiße bescheidene 24 Euro.
Eine Investition in die Zukunft also. Und eine wirklich gute noch dazu.
Das Tasting
Die Rotweine werden bei Chateau Musar traditionell vor den Weißweinen gereicht.
2005 Chateau Musar, Chateau Musar: Cabernet Sauvignon, Cinsault und Carignan
Recht komplexe Nase, die an getrocknete Früchte, Tabak und Leder erinnert. Aber auch flüchtige Säure in Gestalt von Aceton sticht klar hervor. Am Gaumen ganz klassisch Musar mit maskuliner Aromatik, die absolut «old school» wirkt. Dennoch sehr balanciert und wenig aufdringlich. Im mittellangen Abgang eine schöne Frische und ein zurückhaltender Alkoholeindruck. Aus meiner Sicht zu wenig Struktur für eine lange Reifezeit. Es wäre aber typisch Musar, wenn ich mich täuschen würde.
17 / 20
2003 Chateau Musar, Chateau Musar: Cabernet Sauvignon, Cinsault und Carignan
Ebenfalls eine deutliche Aceton- Note an der Nase. Am Gaumen ebenfalls mit sehr klassischem Aromaprofil, aber durch einen starken Eindruck von schwarzen Johannisbeeren mehr an einen Cabernet-Sauvignon-geprägten Bordeaux erinnernd. Im Abgang ist eine deutliche Süße spürbar und der Alkohol scheint nicht ideal eingebunden.
17 / 20 Austrinken
1995 Chateau Musar, Chateau Musar: Cabernet Sauvignon, Cinsault und Carignan
In der Nase recht zurückhaltend mit deutlichem Alkoholeindruck. Am Gaumen dann die Überraschung: Beeindruckende Aromaintensität mit Zedernwürze, Räucherstäbchen und einer unglaublich frischen Kirschfrucht. Extrem komplex und von großer Statur. Zweifellos wird sich dieser Wein noch phänomenal weiterentwickeln, aber es fällt schwer, zum jetzigen Zeitpunkt die Finger davon zu lassen.
19 / 20
1986 Chateau Musar, Chateau Musar: Cabernet Sauvignon, Cinsault und Carignan
An der Nase intensive Anklänge von Rohöl, gerösteten Nüssen und braunem Zucker. Keine Spur von Oxidation. Am Gaumen sehr rund, süßlich und durch Gewürznoten dominiert. Noch unwahrscheinlich lebendig mit runden Tanninen, mittlerem Körper und einer guten Länge. Super zu trinken und einfach lecker.
18 / 20 Austrinken
1979 Chateau Musar, Chateau Musar: Cabernet Sauvignon, Cinsault und Carignan
Keinerlei Oxidationsnoten. An der Nase eher zurückhaltend und an einen gereiften Rioja erinnernd. Am Gaumen unwahrscheinlich komplex. Wieder typisch Musar und zusätzlich Noten von Rosenwasser und Lakritz. Sehr balanciert und mit präsenten, aber gut abgeschliffenen Tanninen. Hier ist noch jede Menge Leben drin. Eine wunderbare Kombination aus Feinheit und Eleganz mit tiefer, komplexer Aromatik. Ein ganz großer Musar, der in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch zulegen wird.
19 / 20
2005 Chateau Musar Blanc, Chateau Musar: Obaideh, Merweh
Starke Honigtöne an der Nase und ein insgesamt eher rotbeeriges Aromaprofil. Leichte Oxidationsnoten weisen in völlig paradoxer Art auf die Jugendlichkeit hin. Gelbe Früchte, mineralische Anklänge und gut integriertes Holz machen den Wein schon jetzt interessant, doch fehlt ihm noch fast alles, was einen weißen Musar ausmacht.
17 / 20
1991 Chateau Musar Blanc, Chateau Musar: Obaideh, Merweh
Intensiv an der Nase mit feinen Holznoten und geriebenen Haselnüssen, Karamell und Malz. Bei diesem Jahrgang experimentierte Serge Hochar erstmals mit neuem Holz, und so bezeichnet er den Wein als «my first red wine». Und in der Tat: Neben Fruchtaromen von kandierten Orangen auch eine rotbeerige Komponente, die von Karamell- und Toffee-Aromen begleitet wird. Im langen Abgang eine salzig anmutende Frische. Exzellent jetzt zu trinken, zugleich aber mit Riesenpotenzial für die Zukunft.
18 / 20
1989 Chateau Musar Blanc, Chateau Musar: Obaideh, Merweh
An der Nase Noten von frisch gemähtem Gras und gebrannten Mandeln. Am Gaumen dann im Vergleich zum 1991er deutlich jünger wirkend. Noch etwas unharmonisch, mit nussigen Röstaromen und gelben Früchten nur im Hintergrund. Im Abgang etwas zu starker Alkoholeindruck. Schwer zu glauben, aber der Wein ist noch zu jung.
17 / 20
1967 Chateau Musar Blanc, Chateau Musar: Obaideh, Merweh
Leider zeigt die Nase einen leichten Korkfehler. Trotzdem lässt sich die Größe dieses Weines erahnen. Am Gaumen sehr frisch und harmonisch wirkend. Bis auf die bereits recht dunkle Farbe ist auch diesem Wein das hohe Alter überhaupt nicht anzumerken.
ohne Bewertung
Bezugsquellen:
CH: La Passion du Vin, Bern Beaucheville, Zürich
D: Cave du Connaisseur, Berlin (auch viele ältere Jahrgänge)
Lieber Tobias,
schön geschrieben und nahezu identische Eindrücke. Lediglich beim 2003er hatte ich bei der Verkostung anlässlich der Weinexpo einen anderen Eindruck. Ich empfand den Wein als rund, supersaftig und mit einer herrlichen Extraktsüsse ausgestattet; eine Fruchtbombe, mit vielen arabisch-exotischen Gewürzen, duftend wie ein Parfüm aus 1001 Nacht, so animierend und sexy, brr. Aber nicht genug, der Wein hatte im Hintergrund eine gute Struktur und herrlich rundkörnige Tannine. Auf Grund dieser Eigenschaften glaube ich, dass der Wein noch eine hervorragende Zukunft hat und vielleicht ein würdiger Nachfolger für den traumhaften 1979 ist. Die nächste Flasche in 24 Jahren gemeinsam trinken, um es herauszufinden? ;-))